Das Gewöhnliche Hirtentäschel (Capsella bursa-pastoris), auch Hirtentäschelkraut genannt, ist eine Pflanzenart in der Familie der Kreuzblütengewächse (Brassicaceae). Der wissenschaftliche Name Capsella bursa-pastoris kommt von lateinisch capsa = Kapsel, bursa = Tasche und pastor = Hirt, da die Schötchen der Pflanze wie die Taschen früherer Hirten geformt sind.
Das Gewöhnliche Hirtentäschel ist eine ein- bis zweijährige krautige Pflanze. Sie wird 10 bis 50 cm hoch, wurzelt aber bis zu 90 cm tief.[1] Die Grundblätter sind rosettig angeordnet, schmal, länglich und gezähnt bis fiederspaltig, selten ganzrandig. Die einfache oder verzweigte und aufrechte Sprossachse trägt im oberen Teil eine Traube von zahlreichen Blüten, die später zu gestielten, abstehenden, herzförmigen bis dreieckigen Schötchen werden. Die Blütenkronblätter sind 2 bis 3 mm lang und weiß. Die Schötchen enthalten in jedem Fach bis zu zwölf Samen.
Blütezeit ist bei günstigen Bedingungen fast das ganze Jahr. Fruchtreife ist von April bis Dezember.[2]
Die Chromosomenzahl der Art ist 2n = 4x = 32, sie ist auto-tetraploid[3]
Diese Art kommt in ganz Europa vor und ist in Mitteleuropa sehr häufig. Sie ist von da an ostwärts durch fast ganz Asien verbreitet und heute in fast alle anderen Kontinente weltweit verschleppt und eingebürgert worden. Als Standorte werden Ruderalstellen, Äcker und Gärten bevorzugt. Die Pflanze ist stickstoff- und lichtliebend und gedeiht auf nährstoffreichen Böden. Das Hirtentäschelkraut kommt bis in die subalpine Höhenstufe vor. In den Allgäuer Alpen steigt sie im Tiroler Teil am Fuß des Hochwieslers nahe dem Gimpelhaus bis zu 1820 m Meereshöhe auf.[4] Heute ist die Art in den gemäßigten Klimazonen und auch in den tropisch-montanen Gebieten verbreitet; sie kam ursprünglich wohl nur im südlichen Europa und in Westasien vor. In Mitteleuropa ist sie eine Charakterart der Klasse Chenopodietea, kommt aber auch in Gesellschaften des Verbands Polygonion avicularis vor.[1]
Das Gewöhnliche Hirtentäschel ist eine sehr anpassungsfähige Pflanze. Sie wächst entweder sommer- bis winterannuell einjährig oder als zweijährige Halbrosettenpflanze.[2]
Die Blüten besitzen keine Blühperiodizität, die Pflanze kann deshalb bei günstiger Witterung das ganze Jahr über blühen. Sie bildet unscheinbare homogame bis vorweibliche „Nektar führende Scheibenblumen“. Meist findet spontane Selbstbestäubung statt; daneben kommen Schwebfliegen und kleinere Bienen als Bestäuber vor.[2]
Die Früchte sind vielsamige, zur Reife beide Fruchtklappen abwerfende Schötchen. Die Art ist eines der hartnäckigsten Wildkräuter. Pro Jahr sind bis zu vier Generationen möglich. Eine Pflanze produziert bis zu 64.000 Samen.[2]
Es findet Selbstausbreitung statt, außerdem Ausbreitung als Wind- und Regenballist. In letzterem Fall lassen auf das Schötchen aufschlagende Regentropfen den Fruchtstiel zurückschnellen und schleudern so die Samen heraus. Die in der Nähe der Mutterpflanze auftreffenden Samen werden durch Regenwürmer in den Boden eingearbeitet, wo sie lange keimfähig bleiben. Auch Ausbreitung durch den Menschen und Zufallsausbreitung kommen vor. Samen wurden z. B. im Dung von Rindern und Möwen gefunden. Die klebrigen Samen werden außerdem als Klebhafter z. B. an Reifen, Schuhen und Hufen fortgetragen, was der Fernausbreitung dient. Auch Bearbeitungsausbreitung durch Körner fressende Kleinvögel ist möglich.[2]
Im Schleim der Samenschale wurden Proteasen, Eiweiß-spaltende Enzyme nachgewiesen. Es wurde spekuliert, sie könnten zur Verdauung von sehr kleinen Tieren dienen, damit deren Abbauprodukte als Zusatznahrung dienen können.[5] In diesem Fall würde bei den Samen eine Art Karnivorie vorliegen. Inzwischen wurde experimentell nachgewiesen, dass die Samen in nährstoffarmen Böden bei Präsenz von Nematoden, die im Bereich der Samenschale tatsächlich abgetötet werden, schneller wachsen können als ohne diese.[6], ähnliche Ergebnisse liegen auch für andere Pflanzenarten mit ähnlichen Eigenschaften der Samenschalen vor.[7] Der Effekt wurde als „Protokarnivorie“ umschrieben.
Die Samen sind sehr langlebig und können bis etwa 30 Jahre keimfähig bleiben. Dadurch verteilt sich die Keimung über einen sehr langen Zeitraum, was die Chance der Pflanze, sich zu etablieren, stark erhöht.[2]
Das Gewöhnliche Hirtentäschel wird sehr oft von Albugo candida, dem Weißen Rost befallen, dabei verändert sich sein Habitus deutlich. Auch Plasmodiophora brassicae, der Erreger der Kohlhernie und gefürchteter Schädling im Gemüsebau, befällt das Hirtentäschel.[8]
Die Erstbeschreibung unter dem Basionym Thlaspi bursa-pastoris wurde durch Carl von Linné in Species Plantarum 1753 veröffentlicht.[9] Der deutsche Botaniker Friedrich Kasimir Medikus stellte die Art 1792 unter dem heute gültigen Namen Capsella bursa-pastoris in die Gattung Capsella.[10]
Man kann zwei Unterarten unterscheiden:
Nach genetischen Daten[3] ist die Schwesterart von Capsella bursa-pastoris die von der mittleren Ukraine in Osteuropa bis Nordchina verbreitete Capsella orientalis, die beiden anderen europäischen Arten, die westmediterranen Capsella grandiflora und Capsella rubella bilden die Schwestergruppe dieser Klade. Capsella bursa-pastoris subsp. thracica wärde demnach eine durch Hybridisierung entstandene, allotetraploide Sippe und sollte eher im Artrang geführt werden.
Für das Gewöhnliche Hirtentäschel sind viele volkstümliche Namen wie Taschenkraut, Schneiderbeutel, Löffeli, Herzkraut und Bauernsenf bekannt.
Weitere zum Teil auch nur regional gebräuchliche deutschsprachige Trivialnamen sind bzw. waren: Beutelschneiderkraut (Schlesien, Sachsen, Eifel), Beutelschnötterkraut (Thüringen), Blutwurz, Blutkraut (Schlesien, mittelhochdeutsch), Burenschinken (Steding), Crispel (mittelhochdeutsch), Crispeln (mittelhochdeutsch), Dachsenkraut (Schlesien), Daschelkraut, Deschelkraut, Deschenkrut, Gäns-Kröss, Gansecrass (althochdeutsch), Gansecresse (althochdeutsch), Gansekress (althochdeutsch), Geldbeutel (Augsburg), Geldseckali (Bern, St. Gallen), Gensekersse (mittelhochdeutsch), Genskertz (althochdeutsch), Hegalischelm (St. Gallen im Seebezirk), Heinotterblume (Altmark), Hirtenseckel, Hirtentäschle (Augsburg), Hirtentasche (Tübingen), Hirtentäschchen, Klepp (Ostfriesland), Krispele (mittelhochdeutsch), Krispelkraut (mittelhochdeutsch), sülvern Läpels (Schleswig-Holstein), Läpelkäs (Ostfriesland), Lapatekrokt (Siebenbürgen), Münserlkraut (Tirol und Pinzgau), Säcklichrut (St Gallen) Schapschinken (Delmenhorst), Schelmaseckali (St. Gallen am Unterrheintal), Schinken (Steding), Schinkenkraut (Prignitz), Schinkenkrut (Mecklenburg), Schinkensteel (Steding), Seckelabschnyd, Seckelkraut, Speckdent (Jever), Täschelkraut, Täschenkraut (Eifel), Täschlichrut (Bern), Taschekrokt (Siebenbürgen), Taskendeif (Westfalen), Tesselkraut, Vögelichrut (Bern) und Witt Wäs (Altmark).[13][14]
Das Hirtentäschelkraut ist eine alte Heilpflanze, die in der Naturheilkunde beliebt ist.[15] In der Antike und im Mittelalter wurde die auch als Thlaspi (vgl. auch Thlaspi) und Mia benannte Pflanze therapeutisch als Abführ- und Brechmittel, zur Anregung der Monatsblutung, als Abtreibungsmittel und zur Auflösung schlechter Körpersäfte in den Eingeweiden eingesetzt.[16]
Als Heildroge dienen die getrockneten zur Blütezeit gesammelten oberirdischen Pflanzenteile (Bursae pastoris herba).[17]
Inhaltsstoffe sind: Aminosäuren und Proteine (ca. 32 %), Flavonoide (u. a. Kämpferol, Luteolin, Diosmetin, Quercetin, Rutin, Diosmin), Phenolcarbonsäuren, Kalium- und Kalziumsalze, Vitamin C und terpenoide Verbindungen.[17]
Die blutstillend (hämostyptisch) wirkende[18] Droge wird innerlich angewandt zur symptomatischen Behandlung von Menorrhagie und Metrorrhagie und äußerlich, etwa zur lokalen Behandlung bei Nasenbluten, Hämorrhoiden und zur Blutstillung bei Hautverletzungen.[17][15]
Mancherorts wird Hirtentäschelkraut als Wildsalat verwendet.[15]
Das Gewöhnliche Hirtentäschel ist ein Untersuchungsobjekt für Studien zur Embryonalentwicklung, einerseits wegen seiner durchsichtigen Samenschale, andererseits weil man in einem Blütenstand alle Entwicklungsphasen von der unbefruchteten Eizelle in der Knospe bis hin zu reifen Samen finden kann.[2]
Eine von Dioskurides „thlaspi“, „pes gallinaceus“ und „capsella“ genannte Pflanze wurde von Botanikern des 20. Jh.s als Hirtentäschelkraut gedeutet.[19][20] Die medizinische Verwendung des Gemeinen Hirtentäschels lässt sich erstmals sicher in der Volksmedizin des 15. Jh. nachweisen. Im Büchlein von den ausgebrannten Wässern wurde empfohlen, ein Destillat aus „täschenkraut“ gegen Nasenbluten, gegen blutigen und wässrigen Durchfall, gegen zu starke Monatsblutung und zur Austreibung des Harnwegssteins einzunehmen. In einer Elsässer Handschrift aus der zweiten Hälfte des 15. Jh. (Cpg 226) wurde zur Behandlung des Nasenblutens empfohlen, eine Handvoll des Krautes vor die Nase zu halten. Der Straßburger Wundarzt Hieronymus Brunschwig schrieb in seinem Kleinen Destillierbuch: „… ſo man das krut mit der zugethonden handt haben iſt vntz es erwarmet / do von das blůtend der naſen von ſtunden an verſtot vnd verſtellt würt …“
In den Mainzer Kräuterbuchinkunabeln des 15. Jh. – Herbarius moguntinus (1484), Gart der Gesundheit (1485) und Hortus sanitatis (1491) – wurde das Gemeine Hirtentäschel zusammen mit dem Vogelknöterich behandelt und die überlieferten Indikationen beider Pflanzen wurden zusammengeworfen. Diese Sicht wurde von den deutschen Vätern der Botanik – Otto Brunfels, Hieronymus Bock und Leonhart Fuchs – verworfen. Da sie bei Dioskurides keine dem Gemeinen Hirtentäschel entsprechende Pflanze finden konnten, so übernahmen sie ausschließlich die Angaben aus der Volksmedizin. Dazu Otto Brunfels 1532 in seinem deutschen Kräuterbuch:
1986 veröffentlichte die Kommission E des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes eine (Positiv-)Monographie über Hirtentäschelkraut mit den Indikationen: leichte Menorrhagien und Metrorrhagien, Nasenbluten und oberflächliche blutende Hautverletzungen.
Vitus Auslasser 1479
Herbarius Moguntinus 1484
Gart der Gesundheit 1485.
Hortus sanitatis 1491
Otto Brunfels 1532
Leonhart Fuchs 1543
Hieronymus Bock 1546
Mattioli / Handsch / Camerarius 1586
Das Gewöhnliche Hirtentäschel (Capsella bursa-pastoris), auch Hirtentäschelkraut genannt, ist eine Pflanzenart in der Familie der Kreuzblütengewächse (Brassicaceae). Der wissenschaftliche Name Capsella bursa-pastoris kommt von lateinisch capsa = Kapsel, bursa = Tasche und pastor = Hirt, da die Schötchen der Pflanze wie die Taschen früherer Hirten geformt sind.