Die Baumsteigerfrösche (Dendrobatidae), auch Pfeilgiftfrösche oder Farbfrösche genannt, sind eine Familie der Froschlurche (Anura). Die oft sehr kleinen (etwa 12 bis 50 mm) und farbenfrohen Frösche werden derzeit in ein Dutzend Gattungen und rund 170 Arten untergliedert. Mit dem Färberfrosch, Dendrobates tinctorius (Cuvier, 1797), wurde eine Art erstmals bereits im 18. Jahrhundert von einem Europäer beschrieben. Die deutschsprachige Bezeichnung „Pfeilgiftfrösche“ für die ganze Familie ist irreführend, da im Wesentlichen nur drei Arten der Gattung Phyllobates von indigenen Völkern für das Pfeilgift verwendet werden. Nicht alle Stoffe, die von den Baumsteigerfröschen durch ihre Hautdrüsen ausgeschieden werden, sind tödliche Nervengifte.
Die Baumsteigerfrösche bewohnen den mittel- und südamerikanischen Regenwald; einige Arten sind auch noch im Hochland von Ecuador anzutreffen. Die meisten Arten finden sich östlich der Anden im Amazonasbecken und der Mata Atlântica. Die nördliche Verbreitungsgrenze ist Nicaragua.[1] Es besteht außerdem noch eine allochthone Population von Dendrobates auratus auf Hawaii. Diese Frösche wurden dort Anfang des 20. Jahrhunderts ausgesetzt.[2]
Die Tiere leben bei Tagestemperaturen von 25 bis 28 °C und Nachttemperaturen von 22 bis 25 °C sowie einer relativen Luftfeuchtigkeit von 70 bis 100 %.[3] Sie bewohnen je nach Art alle Zonen des neotropischen Regenwaldes von der Laubschicht des Bodens bis in die Baumkrone.
Zwischen der ersten und zweiten, sowie zwischen der zweiten und dritten Zehe sind keine Schwimmhäute ausgebildet. Gaumenbeine fehlen. Die gleichen Merkmalszustände finden sich bei Allobates, einer Gattung der Aromobatidae. Aufgrund umfangreicher Analysen mikrobiologischer und phänotypischer Daten[1] ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um Konvergenzen handelt.
Die Laichablage erfolgt bei kleineren Arten überwiegend auf Blättern von Pflanzen und Bäumen. Größere Arten (Dendrobates tinctorius und D. auratus) sind auch Höhlenlaicher. Je nach Art umfasst ein Gelege zwischen zwei und 35 Eiern. Dem Laichen geht ein teils stundenlanges Balzritual voraus. Dem durch seine Rufe lockenden Männchen nähert sich das Weibchen und streicht ihm mit den Vorderbeinen über den Rücken. Beide suchen sich dann einen geeigneten Platz zum Ablaichen. Die Abgabe des Laichs erfolgt beispielsweise an Bromelienblättern über deren Blattachseln beziehungsweise in der Blattachsel selbst. Die Besamung der Eier durch das Männchen geschieht äußerlich unmittelbar nach deren Abgabe. Die Gelege werden meistens vom Männchen bewacht. Manche Arten bewässern ihre Gelege regelmäßig, indem sie den Inhalt ihrer Blase auf die Eier entleeren.
Pfeilgiftfrösche sind tagaktiv; denn ihre grellen Farben bieten ihnen am Tag Schutz. Damit ihre Kaulquappen nicht den Fressfeinden in Flüssen und Teichen ausgeliefert sind, werden die nach 10 bis 16 Tagen Embryonalentwicklung schlüpfenden Kaulquappen auf dem Rücken des Männchens in kleinste Wasseransammlungen auf Pflanzen (Phytotelmata), etwa mit Wasser gefüllte Blattachseln, überführt. Bei manchen Arten (beispielsweise Ranitomeya imitator) erfolgt dieser Transport einzeln, bei anderen, beispielsweise dem Dreistreifen-Baumsteiger (Epipedobates tricolor), kann er das gesamte Gelege gleichzeitig umfassen. Später bringen sie ihre Nachkommen in gleicher Weise auf den Erdboden.[4] Die Weibchen einiger Arten füttern die Kaulquappen mit unbefruchteten Nähreiern bis zur Metamorphose (vgl. Oophaga), bei anderen ernähren sich die Larven von Algen oder Insekten, die in die Blattachseln fallen. Die Entwicklung von der Kaulquappe zum Jungfrosch dauert zwischen sechs und 14 Wochen.
Baumsteigerfrösche sondern über ihre Haut basische Alkaloide ab, von denen etwa 200 Varianten bekannt sind (beispielsweise Pumiliotoxin bei Dendrobates, Batrachotoxin bei Phyllobates). Batrachotoxin wirkt auf das Nervensystem. Es verhindert die Inaktivierung der Natriumkanäle und ist damit ein sogenanntes Krampfgift. Es treten Muskel- und damit auch Atemlähmungen auf, die in schweren Fällen beim Menschen zum Tod nach etwa 20 Minuten führen können. Das Gift dringt durch kleine Verletzungen oder Hautporen in den Blutkreislauf ein. Ein Gegengift ist Tetrodotoxin. Die Pfeilgiftfrösche, die Batrachotoxin über ihre Haut abgeben, gehören neben einigen Würfelquallen und der Krustenanemone zu den giftigsten Tieren der Welt. Gemäß LD-50 ist schon eine Giftmenge von 2 µg/kg für das Opfer tödlich.
Die Frösche nehmen ihr Gift durch Verspeisen von giftigen Beutetieren auf und sequestrieren es in ihrem Körper. Dabei wurden in den letzten 30 Jahren bis zu 232 verschiedene Alkaloide aus bis zu 21 verschiedenen Strukturklassen identifiziert.[5] Die hochtoxischen Pumiliotoxine und Allopumiliotoxine werden durch den Konsum von Milben erworben, wohingegen weitere Stoffe durch die Aufnahme von Ameisen und Käfern in den Körper der Frösche gelangen. Dabei können die Giftstoffe durch den Frosch-Organismus sowohl verändert (Metabolisierung) werden oder auch unverändert bleiben. Die Giftigkeit von in Gefangenschaft gehaltenen Tieren nimmt mit der Zeit ab, wenn keine geeigneten Futtertiere zur Verfügung stehen. In Gefangenschaft geborene Nachzuchten besitzen in den meisten Fällen kein Hautgift mehr.
Ihren deutschen Namen haben Pfeilgiftfrösche der Tatsache zu verdanken, dass das Hautsekret von drei Arten der Gattung Blattsteiger (Phyllobates terribilis, Phyllobates bicolor und Phyllobates aurotaenia) von bestimmten Indianerstämmen in Westkolumbien als Pfeilgift bei der Jagd mit dem Blasrohr verwendet wird. Das Sekret wird auf die Spitzen der Pfeile aufgetragen. Es enthält hohe Konzentrationen von Batrachotoxin.
Mit ihrer auffälligen Körperfärbung signalisieren Pfeilgiftfrösche ihre Ungenießbarkeit. In der Biologie wird dieser Mechanismus als Aposematismus bezeichnet. Fressfeinde müssen allerdings in der Regel diese Ungenießbarkeit erst erlernen. Meist ist eine einzige Erfahrung für einen Fressfeind ausreichend, um eine lebenslange Aversion und damit Meidung dieser Tierart zu entwickeln. Auch wenn der erste Frosch dieser Art, mit dem das Jungtier eines Räubers Bekanntschaft macht, dabei häufig verletzt oder gar gefressen wird, bleiben alle anderen Individuen dieser Population von diesem Jäger fortan verschont.
Nur rund ein Drittel der Arten in der Familie der Baumsteigerfrösche produziert Hautgifte. Einige Arten, die keine Alkaloide absondern können, gleichen in ihrer Färbung und Zeichnung den ungenießbaren Arten und täuschen durch diese Anpassung mögliche Fressfeinde (Batessche Mimikry). Aber auch giftige Arten passen sich in der Färbung einander an (Müllersche Mimikry).[6] Eines der ersten Beispiele, die innerhalb der Amphibien erforscht wurden, ist die Art Ranitomeya imitator, die in verschiedenen Teilen ihres Verbreitungsgebietes die Farben und Zeichnungen der dort beheimateten Baumsteiger-Frösche Ranitomeya variabilis (früher Dendrobates variabilis genannt), Ranitomeya summersi (früher Dendrobates fantasticus) und Ranitomeya ventrimaculatus (früher Dendrobates ventrimaculatus) nachahmt.[7] Es wurde gezeigt, dass diese Farbvarianten tatsächlich der Art Ranitomeya imitator angehören, obwohl sie den Arten in bestimmten Teilen ihres Verbreitungsgebiets äußerlich stärker ähneln als den anderen Populationen ihrer eigenen Art. Die Mechanismen der Variabilität innerhalb der gleichen Art und die Evolution der Signalfarben sind Gegenstand neuerer Forschungsarbeiten zu den Baumsteiger-Fröschen. Es kommen dafür die Koevolution der Frösche und ihrer Fressfeinde, aber auch Konkurrenz innerhalb der gleichen Art und die Auswahl der Männchen durch die Weibchen in Frage.[8]
Lange Zeit wurden alle auffällig gefärbten Baumsteiger-Frösche als nahe verwandt angesehen und in den Gattungen Dendrobates und Phyllobates zusammengefasst. Ebenso wurden ungiftige Arten dieser Familie mit Tarnfarben in die Gattung Colostethus gestellt, die bald über 100 Arten umfasste. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Möglichkeit zur Produktion von Hautgiften und aposematische Färbungen durch konvergente Entwicklung innerhalb der Familie mehrmals entstanden und nicht in jedem Fall auf enge Verwandtschaft zurückzuführen sind.[9] Aufgrund molekulargenetischer Untersuchungen wurden die Verwandtschaftsbeziehungen innerhalb der Baumsteiger-Frösche in den vergangenen beiden Jahrzehnten neu gefasst.
Die Gattungen Dendrobates, Epipedobates, Phyllobates sowie Minyobates werden auf Anhang II des Washingtoner Artenschutz-Übereinkommens (CITES) geführt. Der Handel mit diesen Tieren ist streng reglementiert. Neben den Wildfängen der farbenprächtigen kleinen Frösche für den Zoohandel in Nordamerika und Europa stellt die zunehmende Abholzung des Regenwaldes in den Lebensräumen der Baumsteigerfrösche die größte Bedrohung dar. Oft ist eine Population bereits ausgestorben, bevor ihr Artstatus geklärt werden kann.[10]
Der Chytridpilz (Batrachochytrium dendrobatidis) ist ein Töpfchenpilz, der die Haut von Amphibien befällt und bei ihnen die Chytridiomykose auslöst, eine Krankheit, die besonders in den kühleren Regionen der Anden für die befallenen Frösche tödlich verlaufen kann. Viele Arten der Baumsteigerfrösche (Dendrobatidae) sind daher durch diese ursprünglich aus Afrika stammende Pilzkrankheit stärker gefährdet. Darauf verweist auch der Artname des Pilzes B. dendrobatidis
Die Systematik der Baumsteigerfrösche ist in den letzten Jahren grundlegend überarbeitet worden.[1] Verschiedene früher ebenfalls unter den Dendrobatidae geführte Taxa wurden einer neu etablierten Familie Aromobatidae zugeordnet. Die auf diese Weise arrangierten Familien Aromobatidae und Dendrobatidae sind Schwestergruppen. Die ehemalige Gruppierung der Baumsteigerfrösche, die die Aromobatidae mit einschloss, ist somit monophyletisch. Sie wurde bei der taxonomischen Umstellung in den Rang einer Überfamilie namens Dendrobatoidea gehoben. Die deutsche Bezeichnung Baumsteigerfrösche wurde jedoch auf Familienniveau dahin gehend angepasst, dass sie die Aromobatidae nicht mehr einschließt.
Dendrobatoidea Aromobatidae>>>
Silverstoneia
Epipedobates
Colostethus
Ameerega
Hyloxalus
Phyllobates
Minyobates
Ranitomeya
Adelphobates
Oophaga
Dendrobates
Die Baumsteigerfrösche wurden gegenwärtig in drei Unterfamilien gegliedert, von denen eine bei der Revision neu errichtet wurde.[1]
Während die Colostethinae aus einem basalen Zweig der Baumsteigerfrösche hervorgehen, besteht zwischen den Hyloxalinae und den Dendrobatinae ein Schwestergruppenverhältnis. Auch auf der Ebene der Gattungen wurden zahlreiche taxonomische Umstellungen vorgenommen. Zwei Gattungen wurden dabei neu etabliert. Außerdem wurden aufgrund phylogenetischer Untersuchungen viele zusätzliche Arten aus „Sammelarten“ (Artenkomplex) mit großem Verbreitungsgebiet und verschiedenen Farbmorphen ausgegliedert.[11] Derzeit zeichnet sich die folgende Klassifikation mit drei Unterfamilien und elf Gattungen ab.
Stand: 4. April 2019
Unterfamilie Colostethinae Cope, 1867 (5 Gattungen, 68 Arten)
Unterfamilie Dendrobatinae Cope, 1865 (8 Gattungen, 61 Arten)
Unterfamilie Hyloxalinae Grant, Frost, Caldwell, Gagliardo, Haddad, Kok, Means, Noonan, Schargel & Wheeler, 2006 (3 Gattungen, 70 Arten)
Zu den Dendrobatidae incertae sedis wird außerdem Colostethus poecilonotus Rivero, 1991 gestellt, dessen Position innerhalb der Familie ungeklärt ist. Colostethus poecilonotus wurde genauer gesagt als Dendrobatoidea incertae sedis eingeordnet, könnte also auch ein Vertreter der Aromobatidae sein.[1]
Die Baumsteigerfrösche (Dendrobatidae), auch Pfeilgiftfrösche oder Farbfrösche genannt, sind eine Familie der Froschlurche (Anura). Die oft sehr kleinen (etwa 12 bis 50 mm) und farbenfrohen Frösche werden derzeit in ein Dutzend Gattungen und rund 170 Arten untergliedert. Mit dem Färberfrosch, Dendrobates tinctorius (Cuvier, 1797), wurde eine Art erstmals bereits im 18. Jahrhundert von einem Europäer beschrieben. Die deutschsprachige Bezeichnung „Pfeilgiftfrösche“ für die ganze Familie ist irreführend, da im Wesentlichen nur drei Arten der Gattung Phyllobates von indigenen Völkern für das Pfeilgift verwendet werden. Nicht alle Stoffe, die von den Baumsteigerfröschen durch ihre Hautdrüsen ausgeschieden werden, sind tödliche Nervengifte.