Die Gibbons (Hylobatidae) bilden eine Familie baumbewohnender Primaten aus Südostasien. Sie sind die Schwestergruppe der (Großen) Menschenaffen (Hominidae) und werden dementsprechend auch als Kleine Menschenaffen bezeichnet. Es werden 20 Arten unterschieden.
Gibbons kommen in Südostasien vor; ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich von Nordostindien, Myanmar und Südchina über Indochina und die Malaiische Halbinsel bis zu den indonesischen Inseln Borneo und Java. In früheren Zeiten waren Gibbons weiter verbreitet; noch in der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends fand man sie beispielsweise in einem Großteil Chinas.
Gibbons sind schwanzlose Primaten. Auffallend ist, dass die vorderen Gliedmaßen wesentlich länger als die hinteren sind. Dies ermöglicht ihnen die im Tierreich einmalige Fortbewegungsform des Schwinghangelns (Brachiation). Ihr Daumen wurzelt nahe dem Handgelenk und ermöglicht so einen sicheren Griff um die Äste. Ihr dichtes Fell ist schwarz, grau oder braun gefärbt, ihre Schnauzen sind kurz und die großen Augen nach vorn gerichtet. Die Zahnformel entspricht mit 2-1-2-3 der der Menschenaffen. Einige Arten haben einen Kehlsack, der ihnen als Resonanzkörper beim Ausstoßen ihrer lauten Rufe dient. Gibbons erreichen eine Kopf-Rumpf-Länge von 45 bis 90 cm und ein Gewicht von 4 bis 13 kg, wobei der Siamang bei weitem die größte und schwerste Art darstellt.
Der Name Hylobates (ὑλοβάτης) bedeutet wörtlich „Waldgänger“ (altgriechisch ὕλη hýlē „Wald“, βαίνω baínō, „ich gehe, wandere, laufe umher“). Gibbons sind tagaktive Waldbewohner, die mit ihren langen Armen und den weit unten ansetzenden Daumen perfekt an die hangelnde Lebensweise angepasst sind. Sie schwingen durch die Bäume und können mit einem einzigen Schwung 3 m zurücklegen. Auf dem Boden bewegen sie sich zweibeinig voran (Bipedie), wobei sie die Arme aus Balancegründen hoch in die Luft strecken. Ihr Verbreitungsgebiet sind in erster Linie tropische Regenwälder, manchmal kommen sie auch in Gebirgswäldern bis 1800 m Höhe vor.
Gibbons leben monogam. Ein Paar und sein Nachwuchs lebt in einem Revier, das es gegen Eindringlinge verteidigt. Gelegentlich findet man auch Einzeltiere, meist junge Erwachsene, die ihre Familie verlassen mussten. Auf der Suche nach einem eigenen Partner verlassen Jungtiere ihre Eltern oder werden von diesen mit Gewalt vertrieben. Die Suche nach einem geeigneten Partner kann sich über mehrere Jahre hinziehen. Bei manchen Arten unterstützen die Eltern ihren Nachwuchs, indem sie ein freies Gebiet für ihn „reservieren“.
Gibbons sind streng territorial, das Revier eines Paares ist zwischen 25 und 50 ha groß. In ihrem Territorium benutzen sie bevorzugte Wanderrouten. Es kommt selten zu Kämpfen mit Eindringlingen, vielmehr versuchen sie, ihr Territorium durch laute Rufe und Drohgebärden (Hüpfen oder Abbrechen von Ästen) zu verteidigen. Auf Grund der starken Bindung an ihr Territorium wandern sie selbst nach heftigen Störungen nicht einfach ab. Durch diese Reviertreue sind sie bei Habitatzerstörung besonders gefährdet.[1]
Gibbons haben ein großes Lautrepertoire und es wird oft ein eindrucksvoller, durch den Kehlsack verstärkter Gesang aufgeführt. Die Gesänge sind artspezifisch und meist bei Männchen und Weibchen unterschiedlich. Alle Arten von Gibbons außer Hylobates moloch und H. klossii können im Duett (also abwechselnd) singen. Männchen und Weibchen singen jeweils unterschiedliche Strophen und koordinieren ihre Rufe nach festen Regeln. Die Duette werden meist am frühen Morgen, bei verschiedenen Arten zu unterschiedlichen Zeiten aufgeführt.[1][2]
Gibbons ernähren sich vorwiegend von Pflanzen und nehmen nur selten fleischliche Nahrung zu sich. Früchte machen 44 bis 72 % (im Mittel 65 %) der Nahrung aus, Blätter 3 bis 45 % (im Mittel 30 %). Tierische Nahrung macht im Mittel nur einen sehr geringen Anteil aus (0 bis 25 %).
Da ihre Hauptnahrung, Früchte, in verschiedenen Jahreszeiten reifen, können Gibbons diese Nahrung im ganzen Jahreszyklus auffinden und verwerten. Meist fressen sie reifes Obst. Gibbons wenden täglich rund 9 bis 10 Stunden für die Nahrungssuche auf. Entsprechend dem Blattanteil im Nahrungsspektrum der betreffenden Art sind die Backenzähne mehr oder weniger großflächig, um diese Nahrung angemessen kauen zu können. Der voluminöse Blind- und Grimmdarm mit dem einkammerigen Magen sind in der Lage, den Blattanteil in ihrer Nahrung zu verdauen.
Durch ihre Nahrungszusammensetzung kommen sie eher mit Vögeln und Eichhörnchen in Konkurrenz als mit anderen Primaten.
Es dürfte bei den Gibbons keine feste Paarungssaison geben. Alle zwei bis drei Jahre bringt das Weibchen ein einzelnes Jungtier zur Welt, Zwillingsgeburten sind selten. Das Neugeborene klammert sich als aktiver Tragling zunächst an den Bauch der Mutter, später beteiligt sich auch der Vater an dessen Aufzucht. Vollständig entwöhnt sind junge Gibbons erst mit eineinhalb bis zwei Jahren und die Geschlechtsreife tritt mit acht bis neun Jahren ein. Ihre Lebenserwartung in freier Wildbahn dürfte rund 25 Jahre betragen. In Zoos wurden einzelne Gibbons deutlich älter, ein Alter von etwa 60 Jahren ist belegt.[3]
Die Gibbons bilden als Kleine Menschenaffen die Schwestergruppe der großen Menschenaffen (Hominidae).
Sie werden in vier Gattungen mit insgesamt 20 Arten unterteilt:
Die Verwandtschaft der Gibbongattungen und Arten untereinander zeigt folgendes Kladogramm:[10]
Gibbons (Hylobatidae)Weißbrauengibbons (Hoolock)
Schwarze Schopfgibbons (N. concolor, N. hainanus + N. nasutus)
Weißwangen-Schopfgibbons (N. leucogenys + N. siki)
Gelbwangen-Schopfgibbons (N. gabriellae + N. annamensis)
Siamang (Symphalangus)
Kappengibbon (H. pileatus)
Silbergibbon (H. moloch)
Kloss-Gibbon (H. klossii)
Weißhandgibbon (H. lar)
Müller-Gibbon (H. muelleri)
Weißbartgibbon (H. albibarbis)
Schwarzhandgibbon (H. agilis)
Zur Verwandtschaft der frühen Gibbon-Vorfahren zählen vermutlich auch die fossilen Gattungen Pliopithecus und Laccopithecus.
Am 8. September 2020 berichteten Wissenschaftler über die Entdeckung eines fossilen Backenzahns in Nordindien mit einem Alter von etwa 13 Mio. Jahren. Er gehört zu einer neuen fossilen Art, dem ältesten bekannten Vorfahren der heutigen Gibbons, genannt Kapi ramnagarensis.[8][11][5][9]
Das Wort Gibbon wurde Ende des 18. Jahrhunderts aus den französischen Kolonien in Südostasien nach Europa gebracht. Es soll aus einer dort gesprochenen Sprache stammen, bislang fand man aber kein entsprechendes Wort.
Vor tausend Jahren kamen Gibbons noch im größten Teil Chinas vor, Nordgrenze war der Gelbe Fluss. Im 17. Jahrhundert war die Nordgrenze ihres Verbreitungsgebietes der Jangtsekiang. 1988 wurde die möglicherweise ausgerottete Unterart Hylobates lar yunnanensis des Weißhandgibbons zuletzt in der Provinz Yunnan gesichtet.[12] Sie fand dort auch Eingang in Literatur und Malerei. Vor allem die Gesänge beeindruckten die Dichter:
„Traurig sind die Rufe der Gibbons in den drei Schluchten von Pa-tung. Nach drei Rufen in der Nacht netzen Tränen die Kleidung des Reisenden.“
Es gibt zahlreiche naturalistische Zeichnungen der Gibbons; nach taoistischen Vorstellungen konnten sie auch Menschengestalt annehmen.
2004 wurde der Schädel einer heute ausgestorbenen Gibbonart in einer 2200 bis 2300 Jahre alten Grabstätte in der Provinz Shanxi gefunden. Die Form wurde 2018 als Junzi imperialis erstbeschrieben.[7]
In den letzten Jahrhunderten ist das Verbreitungsgebiet drastisch geschrumpft. Auch in ihrem übrigen Verbreitungsgebiet sind Gibbons durch Jagd und insbesondere durch den Verlust ihres Lebensraumes gefährdet. Besonders bedroht sind die Bestände vieler Schopfgibbonarten. Die IUCN stuft alle Arten als gefährdet oder bedroht ein.
Die Gibbons (Hylobatidae) bilden eine Familie baumbewohnender Primaten aus Südostasien. Sie sind die Schwestergruppe der (Großen) Menschenaffen (Hominidae) und werden dementsprechend auch als Kleine Menschenaffen bezeichnet. Es werden 20 Arten unterschieden.